Als Autor im Wohnmobil unterwegs – gegen Alkoholmissbrauch
Ja, wer bin ich eigentlich?
Ich bestehe aus zwei Persönlichkeiten. Nennt mich gern Jason Sante. Das ist mein Autorenname.
Klar, einen echten Namen habe ich auch, doch ich bleibe heute bei Jason, weil ich unter diesem Pseudonym mein Geld verdiene. Ich bin Berufs-Schizophren.
Neben meiner Sucht-Autobiografie „Alkohol ist ein Blender“ habe ich mehrere Thriller und Horrorgeschichten veröffentlicht. Deshalb nutze ich ein Pseudonym, denn mein richtiger Name passt nicht zu diesen Geschichten. Zumindest bilde ich mir das ein.
Begleitet werde ich von meiner Partnerin Traudl.
Wir sind beide trockene Alkoholiker und haben uns 2013 auf einer Langzeittherapie kennengelernt. Wir leben seit Anfang 2020 dauerhaft im Wohnmobil. Traudl ist in Ingolstadt geboren und aufgewachsen. Ich komme aus Neuötting, einer kleinen Stadt in Oberbayern.
Mit dabei ist auch unsere (Angst-) Hündin Frida. Sie stammt aus Rumänien. Frida haben wir aus dem Tierschutz in unsere Obhut geholt; sie ist ein typischer Problemhund. Egal, wir lieben sie genauso wie sie ist. Angst ist ein Scheißgefühl, das weiß ich aus eigener leidvoller Erfahrung.
Unterwegs sind wir mit einem leicht betagten Wohnmobil Adria Adriatik 660DP. Da gibt es noch reichlich zu tun. Renovieren und Sanieren gehört mittlerweile zum täglichen Brot.
Ich freue mich sehr, dass ich euch hier erzählen darf, wie und weshalb ich zum Nomaden wurde.
Lebenslange Lesereise gegen Alkoholmissbrauch. Was habe ich bisher gemacht:
Ich dürfte so 20 Jahre jung gewesen sein, als ich mich eines Tages an meine Schreibmaschine gesetzt habe, um eine fiktive Geschichte zu schreiben. Ohne erkennbaren Grund. Außer, dass ich es unbedingt wollte. Seit diesem schicksalhaften Tag an schreibe ich, mal für mich selbst, mal für die Öffentlichkeit. 23 Jahre habe ich einzig nebenher als Autor gearbeitet.
Hauptberuflich war ich als Fernfahrer, Taxifahrer, Busfahrer, Paketzusteller, Bühnenarbeiter im Theater und etliche Jahre als Kellner im Hofbräuhaus München tätig.
Während meiner Zeit als Kellner verschärfte sich meine (von mir bislang unbemerkte, nur erahnte) Alkoholsucht, und wurde immer unbezähmbarer. Ob es an der andauernden Blasmusik lag, die ich während der Arbeit im Hofbräuhaus ständig anhören musste, wer weiß?
Bald folgte der Zusammenbruch, körperlich wie seelisch, dann mein Outing zum Alkoholiker und ein Hilfeschrei.
Lebenslange Lesereise gegen Alkoholmissbrauch. Mein wichtigstes Buch:
Mein Hilfeschrei wurde erwidert, in Form von verschiedenen Hilfsangeboten, die völliges Neuland für mich bedeutet haben. Insgesamt habe ich 23 Entgiftungen und 2 Langzeittherapien hinter mich gebracht, bis ich dauerhaft trocken wurde. Ich kann euch sagen, das war ein schwerer Kampf gegen einen mächtigen Gegner. Von Langzeittherapien und Entgiftungen habe ich vorher absolut nichts gewusst. Kurz gesagt: Ich hatte keine Ahnung, dass es so breite Hilfsangebote für Alkoholiker gibt.
Leider war und bin ich da nicht der Einzige. Viele wissen gar nicht, wo sie sich hinwenden können. Andere versuchen, ihre Sucht zu verstecken, aus Scham. Gerade bei Frauen passiert das häufig.
Da war es doch naheliegend, meine persönliche Geschichte aufzuschreiben, um anderen Süchtigen Mut zu machen; um andere Menschen (auch Angehörige und nicht Betroffene) über diese Krankheit aufzuklären.
Der Grundstein für „Alkohol ist ein Blender“ war gelegt. Entstanden ist eine Trilogie, wobei jeder Band in sich abgeschlossen ist. Laut Lesermeinungen spiegelt jede Folge meine gesundheitliche Verfassung wieder: Denn das Manuskript zu Band 1 habe ich teilweise während den Entgiftungen geschrieben, teilweise zu Hause mit reichlich Promille im Blut. Da war ich noch drin, im Auf- und Ab.
Null Selbstbewusstsein, depressiv, menschenscheu und geplagt von verschiedenen Ängsten. Diese Zustände waren bei mir an der Tagesordnung, über viele Jahre hinweg.
Wie konnte ich da als Kellner im Hofbräuhaus arbeiten, werdet ihr euch fragen? Ganz einfach: Angetrunken.
Band 2 habe ich verfasst, da war ich bereits mehrere Monate trocken. Auch gefestigter, dank der beiden Langzeittherapien.
Den 3. Band habe ich nach drei durchgehenden Jahren komplett ohne Alkohol geschrieben.
Lebenslange Lesereise gegen Alkoholmissbrauch. Was dann geschah:
Unglaubliches ist mir widerfahren. Angefangen hat alles mit Leserbriefen. Stellt euch mal vor, LESERBRIEFE. Meine Autobiografie wurde gelesen, HURRA.
Nein, das ist nicht selbstverständlich. Darüber können viele Autoren, gerade aus der Selfpublisher-Szene, der auch ich angehöre, ganze Lieder singen.
Was passiert da, habe ich mich oft gefragt. Betroffene und Angehörige schilderten mir immer öfter ihr Leid und meinten, meine Geschichte in Buchform würde ihnen Mut machen, um weiter gegen diese Krankheit anzukämpfen. Manche Briefe verursachten mir Gänsehaut, so gerührt war ich.
Dann, ab 2014, kamen die ersten Lesungsanfragen. Ich … lesen, aus meinem Buch? Vor Publikum?
In der Tat, das bereitete mir ganz viel Freude (solch eine Ehre), einerseits, und andererseits schlaflose Nächte. Mein Selbstbewusstsein war derzeit noch ziemlich im Keller, und wollte da unten sitzen bleiben.
Gewonnen hat schließlich der Schneid gegen alle Zweifel. So kam es, dass ich bei einem Symposium “Sucht” in exakt der Klinik einen Vortrag hielt, in der ich schon mehrmals entgiftet wurde. Ja, so kann’s gehen.
Danach häuften sich die Anfragen, und ich habe alle Lesungswünsche bedient. In Schulen, in Kliniken, in Tagesstätten für Suchtkranke. Landesweit. Auch öffentliche Lesungen durfte ich halten. Alle diese Veranstaltungen waren und bleiben kostenlos, ich nehme kein Geld dafür, weil das Thema Alkoholsucht eine Herzensangelegenheit für mich darstellt.
Totschweigen ist freilich nicht die Lösung gegen diese Volkskrankheit.
Lebenslange Lesereise gegen Alkoholmissbrauch. Unterwegs mit der Bahn:
Was mich nervte, waren die Bahnfahrten zu den Veranstaltungen. Tausend Mal umsteigen und die üblichen Zug-Verspätungen. Ich bin da ohnehin ein gebranntes Kind, da ich bereits vorher beruflich mehr als genug auf dem Schienenweg hin- und hergependelt bin.
Die Übernachtungs- und Fahrtkosten wurden von den jeweiligen Veranstaltern übernommen. Nach jeder Lesung habe ich noch Fragen der Zuhörer beantwortet und meine vorhandenen Autorenexemplare zum Kauf angeboten. Bis heute ist es ein unglaubliches Gefühl, wenn ich ein Buch von mir signieren darf. Da komm ich mir für Sekunden vor wie ein waschechter Promi, lach.
Nun gut, diese Buchverkäufe vor Ort ergaben meine Gage. Und ja, nach jeder Veranstaltung wurde meist in den regionalen Medien darüber berichtet. Das kurbelte nochmal die allgemeinen Buchverkäufe an, für einen sehr überschaubaren Zeitraum. Wenn man dann weiß, dass der Autor am wenigsten an seinen Werken verdient – zuerst kommt da die Druckerei, Verlag, Buchhändler – verwundert es nicht, dass die meisten Autoren von ihrer Arbeit kaum leben können.
Meist wollte ich mir im Anschluss noch die Stadt ansehen, in der ich gerade zu tun hatte. Die zusätzliche Nacht im Hotel ging natürlich auf meine Kosten und fraß den eben erwähnten Zuverdienst verlässlich auf.
Übrigens: Künftig arrangiere ich auch eigene öffentliche Lesungen, finanziert durch Spenden. Zwei Veranstaltungen kann ich bereits planen, dank der Unterstützungen. Besucht doch meine Spendenseite, um euch zu informieren. Link unten.
Lebenslange Lesereise gegen Alkoholmissbrauch. Wie wurde ich zum Nomaden:
Von einem Nomadendasein habe ich schon lange geträumt. Traudl ebenso, zum Glück. Da fehlte nicht viel bis zur Umsetzung. Gründe dafür fanden wir reichlich.
Letztlich gaben die immer häufigeren Lesungsanfragen den entscheidenden Ausschlag, in ein Wohnmobil zu ziehen. Ich konnte ja nicht ahnen, dass diese Tätigkeit ab März 2020 komplett einbrechen sollte. Genau zu dem Zeitpunkt als wir unsere Wohnungstüre zum letzten Mal hinter uns zugezogen haben.
Die Voraussetzungen konnten ja (eigentlich) besser nicht sein. Ich war eh ständig unterwegs. Und Traudl betreibt ein Reisegewerbe. Sie verkauft Holzspielzeug auf Jahrmärkten.
Das alles geht mit einem Wohnmobil gleich nochmal so gut. Ich muss nicht mehr alleine zu den Terminen reisen und kann meine Erlebnisse fortan mit Traudl teilen. Wenn uns ein Ort gefällt, bleiben wir einfach länger, ohne hohe Übernachtungskosten für ein Hotelzimmer, das wir uns eigentlich nicht leisten können.
Wochentags Bücher schreiben, Lesungen halten und am Wochenende irgendwo auf Märkten verkaufen. So lautete der grobe Plan. Diese Tätigkeiten soll(t)en unser Überleben sichern. Teils digital, teils analog.
Ja, unser Einstieg war und ist immer noch knallhart und spannend zugleich. Unwissend sind wir ins kalte Wasser gesprungen, doch das härtet ab. Hart, weil wir seit einem Jahr nichts tun dürfen. Keine Jahrmärkte und keine Lesungen. Vielen geht es ähnlich. Wir stecken alle inmitten einer großen Herausforderung.
Anfangs war ich tieftraurig. Ich erinnere mich, wie ständig das Handy klingelte und mir eine Lesung nach der anderen abgesagt wurde. Da geht es ja rein um Suchthilfe und Suchtprävention. Für viele sind diese Veranstaltungen eine wichtige Anlaufstelle. Grad die Diskussions- und Fragerunde nach dem Vortrag machte das deutlich. Manchmal durfte ich 80 bis 100 Zuhörer begrüßen.
Einmal waren es insgesamt 350 Azubis in einem Berufsbildungszentrum, die meiner Lesung lauschten. Wer denkt, Jugendliche hätten kein Interesse am Thema Alkoholmissbrauch, der irrt gewaltig. So manch einer hat nach der Veranstaltung das persönliche Gespräch mit mir gesucht, oft aus Verzweiflung über verschiedenste Problem aus dieser Richtung.
Lebenslange Lesereise gegen Alkoholmissbrauch. Das Glück überwiegt:
Mittlerweile betrachte ich die derzeitige Krise als Momentaufnahme. Es kommen wieder bessere Zeiten, in denen ich anderen Mut machen darf.
Zeiten, in denen wir wieder Geld verdienen dürfen. Viel brauchen wir eh nicht, denn wir haben ja uns und unsere süße Frida.
Noch dazu haben wir Gefallen am Minimalisieren gefunden und schätzen mehr und mehr das Nötigste. Wasser, Wärme im Winter, eine Kochstelle, eine trockene Schlafkoje und Gesundheit. Ja, Kaffee vielleicht noch. Der darf nie ausgehen.
Diese ungezwungene Lebensweise kristallisiert heraus, was der Mensch tatsächlich benötigt.
Fest steht: Wir bleiben Nomaden, solange es uns möglich ist.
Vielleicht sieht man sich irgendwo. Sprecht uns gerne an.
Natürlich freue ich mich riesig, wenn Ihr euch nach meinen Büchern umschaut.
Shownotes:
->Text und Fotos von Jason